Überblick

Wenn Frauen gleichberechtigt sind und die gleiche Verantwortung tragen, gibt es weniger Armut, weniger Hunger und mehr Stabilität in der Welt, schreibt Entwicklungsministerin Svenja Schulze im Vorwort ihres Strategiepapiers Feministische Entwicklungspolitik. Ziel 5 der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, der sogenannten SDGs, ist die Geschlechtergleichheit bis zum Jahr 2030, weltweit. Außerdem sollen Frauen und Mädchen gestärkt und in ihrer Selbstbestimmung unterstützt werden. Empowerment ist hier ein zentrales Stichwort. Der aktuelle globale Blick auf Geschlechtergerechtigkeit ist jedoch ernüchternd. Noch immer werden Frauen in vielen Ländern der Welt allein aufgrund ihres Geschlechts getötet oder misshandelt. Häufig sind sie bei rechtlichen Angelegenheiten auf ein männliches Familienmitglied angewiesen oder diesem sogar unterstellt, können kein Land besitzen oder dürfen ohne die Erlaubnis eines männlichen Angehörigen nicht arbeiten oder reisen. Dabei können westliche Denkmuster dazu führen, dass die zweifelsfrei vorhandenen Probleme in Ländern des Globalen Südens sehr stark wahrgenommen werden, während die Gleichberechtigung in Deutschland als weit vorangeschritten eingeschätzt wird und die hier vorhandenen Missstände marginalisiert werden. Wir vollziehen beim Themenbereich Geschlechtergerechtigkeit daher einen Perspektivwechsel. Frauen auf die Opferrolle zu reduzieren, schadet der Gleichberechtigung und dem Empowerment, egal wo sie leben. Wir zeigen Beispiele weiblichen Empowerments im Globalen Süden und stellen eine hessische Initiative vor, die Frauen in Not vor Ort hilft. 

Foto: Jennie Abraham-Joy, Creative Handicrafts

Worum geht es beim Thema „Geschlechtergerechtigkeit“?

Überblick

Geschlechtergerechtigkeit weltweit

Bildung als Ausweg aus der Geschlechterungerechtigkeit und Diskriminierung

Empowerment 

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Geschlechtergerechtigkeit weltweit

Wie kann das Zusammenleben auf unserer Erde gerechter werden? Eines der Kernprobleme ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Bereits der 2. Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948 ist eindeutig. In ihm steht, dass die Rechte und Freiheiten der Erklärung für alle Menschen gleichermaßen gelten, unabhängig von ihrem Geschlecht oder sonstiger Unterscheidungsmerkmale. Nun ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht rechtsverbindlich in dem Sinne, dass sie von einzelnen Staaten unterzeichnet werden kann. Aber viele ihrer Festsetzungen sind allgemein anerkannt und haben ein großes moralisches Gewicht. Viele Staaten haben Teile der Erklärung in ihre jeweiligen Verfassungen aufgenommen. Zudem wurden in den 1970er Jahren verschiedene Abkommen verabschiedet, die zusammen mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die sogenannte Internationale Menschenrechtscharta (International Bill of Human Rights) bilden, welche verbindlich unterzeichnet werden kann. Doch auch diese Abkommen und die später hinzugekommenen Verträge und Zusatzprotokolle wurden nicht von allen Staaten unterzeichnet. Dass alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Rechte besitzen, ist in den Verfassungen vieler Länder zu finden. Doch die Realität sieht häufig anders aus. Frauen sind die größte diskriminierte Gruppe weltweit. Ihr Potential, ihre Fähigkeiten und ihre Sichtweisen werden nicht im gleichen Maße genutzt, wie die von Männern. Dabei ist Gleichberechtigung oft besonders nachhaltig, ob im Bereich der Friedensarbeit, beim Thema Finanzen oder wenn es um Klimaschutz geht.

Die Rolle von Frauen in Konflikten und in Konfliktlösungen

Studien, wie die Women’s Participation in Peace Negotiations and the Durability of Peace der Universität Amsterdam von 2018 belegen, dass Konfliktlösungen unter der Beteiligung von Frauen länger erfolgreich sind. Zu diesem Thema forscht auch Dora Isabel Díaz Susa, kolumbianische Sozialwissenschaftlerin und Professorin an der Universidad Nacional de Colombia. Sie weist auf die soziale Konstruktion von Geschlecht als bedeutenden Punkt hin. Für sie erklärt sich daraus, warum und in welcher Form Frauen an Konflikten beteiligt sind: „Wir sollten nicht behaupten wir Frauen seien Pazifistinnen, weil wir bestimmte Genitalien haben. [...] Die Geschichte hat uns die Arbeit der Reproduktion, [...] der Fürsorge zugewiesen. Und das bedeutet nicht, dass uns das notwendigerweise dazu bringt, Pazifistinnen zu sein. Aber es ist wahrscheinlicher, dass die Mutter das Kind, das Mädchen, ihre Nachkommen schützt. Weil Frauen Mütter werden und zu den Hauptopfern gehören. Weil sie stärker betroffen sind, weil ihre Ehemänner getötet werden, oder ihre Männer und Kinder gehen oder weil ein Teil der Familie verschwindet. Deshalb beteiligen sich Frauen natürlich bedeutend am Konflikt. Nicht aber deshalb, weil sie biologisch gesehen Frauen sind“. Einen bedeutenden ersten Schritt in Richtung weltweiter Geschlechtergerechtigkeit - auch in Bezug auf Konflikte - gingen die UN im Jahr 2000. Zum ersten Mal befasste sich der UN-Sicherheitsrat umfassend damit, in welcher Form und in welchem Umfang Frauen von Kriegen und bewaffneten Konflikten betroffen sind. Es folgte die Verabschiedung der Resolution 1325. Sie bestimmt, dass Frauen gleichberechtigt an der Wahrung des Friedens und somit auch an allen Formen von Friedensverhandlungen und -abkommen beteiligt sein müssen. Frauen gehen nachhaltiger mit Ressourcen und den eigenen Finanzen um. Sie sparen mehr als Männer und geben ihr Geld eher für die Gesundheitsvorsorge ihrer Familie und für Bildung aus. Darüber hinaus motivieren und führen Frauen anders als Männer. In allen Fällen, in denen Frauen nicht gleichberechtigt an politischen Entscheidungsprozessen, aber auch am wirtschaftlichen Leben teilhaben können oder in Fragen des Klimaschutzes nicht gehört werden, wird nicht nur die Hälfte der Weltbevölkerung marginalisiert. Es wird auch ein enormes Potential verschenkt.


Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland: Viel erreicht und noch ein langer Weg

Was für viele Menschen in Deutschland heute eine Selbstverständlichkeit ist, musste hart erkämpft werden und ist mitunter sogar eine Errungenschaft der jüngeren Vergangenheit. Frauen dürfen wählen (1918), Männer und Frauen sind vor dem Gesetz gleichberechtigt (1958), Frauen müssen nicht mehr ihren Vater oder Ehemann um Erlaubnis fragen, wenn sie einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen (1977). Der in Deutschland verbotene Abbruch einer Schwangerschaft ist nach vorheriger Beratung bis zur 12. Woche straffrei (1974) und Ärzt*innen dürfen darüber informieren, dass sie Abbrüche vornehmen, ohne damit eine Straftat zu begehen (2022). Es gibt auch Vergewaltigungen in der Ehe und sie sind wie andere Vergewaltigungen Straftaten (1997), ebenso wie jeglicher Geschlechtsverkehr oder sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer*/eines Beteiligten (2016). 

Häusliche und sexualisierte Gewalt

Auch wenn in der Vergangenheit bereits sehr viel erreicht wurde, ist der Weg zu tatsächlicher Geschlechtergerechtigkeit noch lang. Das gilt auch für die Gleichberechtigung von Frauen. Dabei geht es nicht nur um ungleiche Karrierechancen oder um den Gender-Pay-Gap, also die Lücke beim Einkommen von Männern und Frauen. Immer noch ist jede vierte Frau körperlicher, sexueller, psychischer oder sozialer Gewalt ausgesetzt. Statistisch gesehen versucht jeden Tag in Deutschland ein Mann, seine Partnerin oder Expartnerin zu töten und jeden dritten Tag gelingt dies. „Geschlechtergerechtigkeit fängt im Kopf an. Denn erst wenn es ein gesellschaftliches Bewusstsein über die Benachteiligung von Frauen in fast allen Lebensbereichen gibt, kann sich auch was ändern“, bringt es die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauen- und Gleichstellungsbeauftragter auf den Punkt.

Dieses gesellschaftliche Bewusstsein wollte auch der Verein Frauen helfen Frauen e.V. Hochtaunuskreis bei seiner Gründung wecken. Ziel war es Gewalt gegen Frauen, die häufig im Verborgenen, im häuslichen Umfeld, stattfindet, öffentlich und damit sichtbar zu machen. Der Verein betreibt eine Beratungsstelle für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind und ein Frauenhaus. Ein wichtiger Aspekt neben der ganz konkreten Hilfe, die zum Beispiel in einer sicheren Unterbringung bestehen kann, ist die Stärkung der Frauen. Die Frauen, die zu uns kommen, haben fast immer bereits über einen langen Zeitraum viel Kraft gebraucht, um für ihre Kinder da zu sein, den Schein nach Außen aufrechtzuerhalten und sich jeden Tag der körperlichen und seelischen Gewalt auszusetzen, die sie durch ihre Lebenspartner erfahren mussten. Diese Frauen sind alle stark. Und der Schritt aus der Situation heraus fordert eine noch größere Stärke. Denn mit einer Trennung vom gewaltausübenden Partner fängt der eigentliche Kampf erst an. Ein Kampf für ein selbstbestimmtes Leben in Sicherheit und gegen die gesellschaftliche Realität, die ihnen durch Bürokratie und soziale Inakzeptanz den neuen Weg sehr schwer macht,“ erläutert Andrea Pilger aus dem Vorstand des Vereins. Welche Bedeutung es hat, Frauen ihre eigene Stärke bewusst zu machen, wird weiter unten im Bereich Empowerment erläutert.

Bildung als Ausweg aus Geschlechterungerechtigkeit und Diskriminierung

Genauso, wie es in Ländern des globalen Nordens neben den Errungenschaften noch viele Missstände gibt, so existieren in Ländern des globalen Südens Projekte, die Wege aus der Geschlechterungerechtigkeit finden. In Honduras zeigt ein Projekt, wie Weiterbildung Frauen unabhängiger macht und damit auch Erfolge gegen den in Süd- und Mittelamerika weit verbreiteten Machismo erzielt. In der Region Marcala bauen Mitglieder der Frauenkooperative APROLMA erfolgreich hochwertigen Arabica-Kaffee an. Zu finden ist er zum Beispiel im Elisabeth-Kaffee des Weltladen Marburg. Dass eine Kooperative im Kaffeeanbau ausschließlich aus Frauen besteht, ist in Honduras ungewöhnlich. Denn obwohl Frauen im Kaffeeanbau häufig einen Großteil der anfallenden Arbeit leisten, sind es meist die Männer, die den Verkauf organisieren. Damit bestimmen sie auch über die Finanzen in den Familien. Bei APROLMA hingegen können nur Frauen Mitglied werden, sie besitzen ihr eigenes Land und bestimmen über die Ernten. APROLMA 1_Röstmeisterinnen_Quelle_GEPA - A. Welsing.jpg Röstmeisterinnen bei APROLMA. Quelle: GEPA/ A. WelsingZusammen mit der Fair-Handels-Organisation GEPA ermöglichte die Kooperative ihren Mitgliedern eine Weiterbildung zu Kaffeerösterinnen. Damit können die Kaffeebäuerinnen einen deutlich besseren Preis erzielen als durch den Verkauf des Rohkaffees. Durch ihre wirtschaftliche Selbstbestimmtheit ändert sich auch ihre Rolle im Familiengefüge und auch ihr gesellschaftliches Ansehen steigt: sie erwirtschaften das Geld durch ihre Mitgliedschaft in der Kooperative und können die Einnahmen durch Weiterbildungen erhöhen. Dolores Cruz Benitez koordiniert das Röstprojekt. „Organisiert zu sein, hat für uns viele Vorteile. Alleine kommst du nicht weiter. Es geht uns darum, unsere Rechte als Frauen einzufordern. Dass wir das Recht haben, uns zu organisieren, an der Produktion beteiligt zu sein, zum Familieneinkommen beizutragen, einen Zugang zum Markt zu bekommen und darüber zu entscheiden, was mit unserem Geld passiert. Damit sich unsere Familien, unsere Gemeinde, ja unser ganzes Land entwickelt,“ erläutert sie.


Bildung ist ein wichtiger Schlüssel, um Geschlechterungerechtigkeit abzubauen. Zur Akzeptanz aller Menschen trägt die Abbildung ihrer Lebensrealitäten in Kindergärten und Schulen bei. Dazu gehören auch Menschen unterschiedlicher Geschlechtszugehörigkeiten und sexueller Orientierungen: Lesben, Schwule, bisexuelle Menschen, Menschen mit heterosexueller, trans*, queer* und inter* Identität. LGBTQI*-Personen sind besonders von Geschlechterungerechtigkeit betroffen. In vielen Ländern der Welt ist ihr Leben oder ihre physische und psychische Gesundheit bedroht, weil zum Beispiel Gesetze Homosexualität verbieten und unter Strafe stellen, die Gesellschaft LGBTQI*-Personen ausgrenzt und im schlimmsten Fall verfolgt, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. LGBTQI*-Personen erfahren häufig Mehrfachdiskriminierungen, zum Beispiel als lesbische Frau oder als Transperson mit körperlicher Beeinträchtigung. Zu informieren und Vorurteile abzubauen ist eine wichtige Aufgabe von Bildungsarbeit. Queere Bildungsarbeit trägt dazu bei, dass LGBTQI*-Personen akzeptiert werden und gleichberechtigt leben können.

Empowerment 

Der Begriff Empowerment lässt sich mit Selbstbemächtigung übersetzen. Er kommt aus der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und beschreibt Prozesse, „in denen Menschen in Situa­tionen des Mangels, der Benachteiligung oder der gesell­schaftli­chen Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu neh­men, in denen sie sich ihrer Fä­hig­keiten bewusst werden, eigene Kräfte entwickeln und ihre Ressourcen zu einer selbstbe­stimmten Le­bensführung nutzen ler­nen.“ (Zitiert nach Herriger, N.) Empowerment bezieht sich also nicht nur auf Emanzipations- und Selbstbemächtigungsprozesse von Frauen, sondern kann die Strategien beschreiben, die verschiedene benachteiligte Gruppen entwickeln, um ihre Kräfte und Fähigkeiten (wieder-) zu entdecken und sich selbstbestimmt für ihre Belange einzusetzen.

Textfortführung folgt



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Infografik zum Thema Geschlechtergerechtigkeit






Links zum Thema „Geschlechtergerechtigkeit“

Initiativen in Hessen und weltweit: 

weiterführende Links:

Materialien

Für die Ohren